Grimmige Märchen – das böse Cholesterin
Die Cholesterinhypothese ist eine der bestdokumentierten Hypothesen der Medizin­geschichte

Grimmige Märchen – das böse Cholesterin

Viewpoint
Issue
2017/06
DOI:
https://doi.org/10.4414/cvm.2017.00487
Cardiovascular Medicine. 2017;20(06):141-145

Affiliations
Universitäres Herzzentrum, Klinik für Kardiologie, UniversitätsSpital, und Center for Molecular Cardiology, Universität Zürich, Schweiz

Published on 21.06.2017

«Man kann seine eigene Meinung haben,
aber nicht seine eigenen Tatsachen»
Deborah Lipstadt

Ungewöhnliche Lektüre

Gelegentlich bleibt einem die Spucke weg: So geschehen bei der Lektüre des Artikels «Vom bösen Cholesterin» im Gesundheits-Tipp vom 16. März 2017 [1]. Und die Autoren waren nicht die Gebrüder Grimm, sondern ein Journalist mit höherem Wissen. Doch damit nicht genug: Ein Kollege, Chefarzt in einem angesehenen Spital unseres Landes, fühlte sich zu der Aussage hingerissen «die Cholesterin­theorie gehört zu den grössten Irrtümern, welche die Medizin produziert hat» [1]. Nach Solchem reibt sich der Laie die Augen und der Fachmann wundert sich. Nach Rückfragen verunsicherter Patienten und verwirrter Kollegen zu diesem grimmigen Märchen scheint eine Darstellung der Fakten zwingend.

Cholesterin verursacht ­arteriosklerotische Plaques

Es begann mit Edward Jenners Autopsiebefund bei ­seinem nach einem Anfall von Angina pectoris am 13. Oktober 1793 plötzlich verstorbenen Kollegen John Hunter: «I found no material disease of the heart, except that the coronary arteries were thickened.», notierte der Ent­decker der Pockenimpfung [2]. Dann stellte der Pathologe Rudolf Virchow durch Untersuchungen an diesen «Verdickungen» die Cholesterin­hypothese auf: «Die Arteriosklerose ist eine chronische Entzündung verursacht durch Cholesterin». Anfang des 20. Jahrhunderts bestätigte Nikolai Nikolajewitsch Anitschkow durch Experimente am Kaninchen diese Vermutung [3]. Seit Anitschkows bedeutendem Werk wurden Tausende von Experimenten an Nagern [4, 5], Schweinen [6], Primaten [7] und Zellen des Menschen [8] durchgeführt, welche die Beziehung zwischen Cholesterin Endothelfunktion und Arteriosklerose bestätigt haben. Die molekularen Stoffwechselwege, die zur Bildung arteriosklerotischer Plaques führen (Abb. 1), der Grundlage von Herzinfarkt und Hirnschlag, wurden charakterisiert [9].
Abbildung 1: Molekulare Mechanismen der Arteriosklerose und Wirkungen von Low density (LDL-) und High density (HDL-) Lipoprotein, sowie von Adhesionsmolekülen ­(Vascular Cell Adhesion Molecule = VCAM-1; Intercellular Adhesion Molecule = ICAM-1; E-Selection), Chemokinen (Monocyte Chemoattractant Protein = MCP-1) und Zytokinen (Interleukin-1 =IL-1; Interferon γ = IF-γ; Tumour Necrosis Factor α = TNFα). ET-1 = Endothelin-1; NOS = Nitric Oxide Synthase; Nuclear Factor kappa B = NFkB: Platelet Derived Growth Factor = PDGF; Prostaglandin = PGI 2 ; Thromboxan = TXA 2 .

Cholesterin korrelliert mit Infarkt und Tod

Die Framingham-Studie, die nach dem 2. Weltkrieg durch die amerikanische Regierung initiiert wurde, bestätigte in über 30-jährigen Untersuchungen an rund 5000 Einwohnern dieser Vorstadt von Boston, dass die Höhe des Cholesterinspiegels, insbesondere des LDL-Cholesterins, das Auftreten von Herzinfarkt, Herztod und die Lebenserwartung voraussagt (Abb. 2), Befunde, die in zahllosen epidemiologischen Studien ­bestätigt wurden [10, 11]. So hat die Emerging Risk Factor Collaboration (ERFC) an 302 430 initial Gesunden über 2.8 Millionen Personenjahre gezeigt, dass das LDL-Cholesterin Herzinfarkt und Herztod voraussagte [12]. Gleiches berichtete die Prospective Studies Collaboration bei 892 337 initial gesunden Probanden [13].
Abbildung 2: Überleben und Cholesterinspiegel in der Framingham-Studie über 30 Jahre und Beziehung zwischen koronaren Ereignissen und Blutspiegel des Gesamt- und HDL-Cholesterins in der MRFIT-Studie. Adaptiert nach [14] und [15].

Genetik des Cholesterinmetabolismus

Brown und Goldstein zeigten in den 70er Jahren, dass die Leberzellen über den HMG-Coenzym-A-Reduktase-Stoffwechsel Cholesterin synthetisieren und dass Rezeptoren auf der Oberfläche dieser Zellen LDL-Cholesterin aufnehmen und über die Galle entsorgen – Ent­deckungen, für die sie 1985 den Nobelpreis erhalten haben [16].
Daraus folgend brachte die Genetik das Gebiet weiter: Zahlreiche Mutationen sind von Geburt an mit Veränderungen des LDL-Cholesterins assoziiert und erlauben den Vergleich zu Gesunden in sogenannten Mendellian Randomization Studies. Untersuchungen an über 50 Mutationen, die mit tiefen LDL-Cholesterinwerten assoziiert sind, zeigten alle eine tiefe Ereignisrate von Herzinfarkt und Herztod [17]. So schützen «Loss-of-function»-Mutationen des PCSK9-Gens vor Arteriosklerose und ihren Komplikationen [18],während «Gain-of-function»-Mutationen des PCSK9-Gens kardiovaskuläre Ereignisse erhöhten [19]. Die familiäre Hypercholesterinämie, die mit frühzeitigem Herz­infarkt und Herztod assoziiert ist, wurde auf «Loss-of-Function»-­Mutationen der LDL-Rezeptoren zurückgeführt [20]. Weitere Mendellian RandomizationStudies, die das Auftreten von Infarkt und Herztod abhängig von der Höhe der genetisch bedingten ­Cholesterin- und Triglyzeridspiegel untersucht hatten, bestätigten die enge Beziehung zwischen erhöhten Lipiden im Blut und Infarkt und Herztod [21].

Cholesterinsenkung reduziert Infarkt und Herztod

Die nächste Frage war: Lässt sich das Cholesterin senken? Die Lipidapherese, ein Dialyseverfahren, das die LDL-Werte massiv senkt, verbessert die Endothel- und Thrombozytenfunktion, und somit Vorstufen der Arteriosklerose. Wenn auch die Patientenpopulationen klein waren, so schien die Lipidapherese arteriosklerotische Gefässveränderungen und nicht-tödliche kardiovaskuläre Ereignisse bei familiärer Hypercholesterinämie zu verhindern [20].
Mit der Entwicklung von Cholesterinsenkern durch Akira Endo in den 1970er Jahren [23] wurde es möglich, die Cholesterinhypothese pharmakologisch zu testen. Derivate aus Pilzen wie Compactin und Lovastatin erwiesen sich als potente Hemmer des HMG-Coenzym-A Reduktase-Stoffwechsels. In der 4S-Studie wurde Simvastatin bei 4444 Patienten mit koronarer Herzkrankheit über 5,4 Jahre mit Plazebo verglichen. Simvastatin senkte die Gesamtmortalität um 30%, die koronare Mortalität um 42% und nicht-tödliche koronare Ereignisse um 34% [24].Seither wurden zahllose randomisierte Studien an inzwischen über 2 Millionen Patienten veröffentlicht; sie haben diese Ergebnisse einzeln und in Meta-Analysen bestätigt (Abb. 3) [25].
Abbildung 3: Logarithmisch-lineare Beziehung zwischen der Veränderung des LDL Cholesterins und dem Risiko für kardiovaskuläre Erkrankungen in Mendellian Randomization Studies mit lebenslanger Exposition von Geburt an, sowie in prospektiven Kohorten- und randomisierten Studien. Aus: Ference BA, Ginsberg HN, Graham I, Ray KK, Packard CJ, Bruckert E, et al. Low-density lipoproteins cause atherosclerotic cardiovascular disease. 1. Evidence from genetic, epidemiologic, and clinical studies. A consensus statement from the European Atherosclerosis Society Consensus Panel. Eur Heart J. 2017 Apr 24. [Epub ahead of print], Nachdruck mit Genehmigung.
Vergleichsstudien mit niedrig bzw. hoch dosierten Statinen haben gezeigt, dass eine ausgeprägtere Hemmung des HMG-Coenzyme-A-Reduktase-Stoffwechsels koronare Ereignisse weiter reduziert [26]. Die geringere Cholesterinsenkung mit dem Hemmer des Niemann-Pieck-Transporters im Darm, Ezetimibe, war umgekehrt im IMPROVE-IT-Trial mit einer geringeren Reduktion klinischer Ereignisse assoziiert [27] – kurzum scheint für das LDL-Cholesterin zu gelten: The lower, the better.
Und in der Tat weisen Tiere massiv tiefere LDL-Cholesterinwerte auf als Menschen – und erkranken bekanntermassen nicht an einer koronaren Herzkrankheit. Umgekehrt wurde eine schwere Arteriosklerose computertomographisch selbst bei Mumien ägyptischer Pharaonen und südamerikanischer Könige, die vor 4000 Jahren verstorben waren, nachgewiesen [28].
Die FOURIER-Studie mit dem Antikörper Evolocumab, der durch Bindung an PCSK9 die Anzahl der LDL-Rezeptoren in der Leber erhöht und so die LDL-Spiegel senkt, hat bestätigt, dass eine noch tiefere LDL-Senkung zusätzlich zu den Statinen den kombinierten Endpunkt von Tod, Herzinfarkt und Hirnschlag um 20% reduziert [29] – erneut zeigte sich: The lower, the better. Dies um so mehr, als in der bisher verfügbaren Beobachtungsdauer Nebenwirkungen gering und neurokognitive Veränderungen nicht nachweisbar waren. Die frühzeitig abgebrochenen SPIRE-1- und -2-Studien mit dem PCSK9-Antikörper Bococicumab [30] haben zusammen mit FOURIER in einer auf der Behandlungszeit basierten Analyse die enge Beziehung zwischen Cholesterinsenkung und kardiovaskuklären Ereignissen weiter bestätigt [31].

Medienberichte und kardiovaskuläre Sterblichkeit

Zuletzt haben im Dänischen Gesundheitssystem erhobene Daten die Evidenz erweitert: Negative Medienberichte über Statine, so zeigte sich bei 674 900 Patienten, die mit einer Statintherapie begonnen hatten, führen zu einem Absetzen dieser Medikamente und in der Folge zu einem Anstieg von Herzinfarkt und Herz­tod, während positive Medienberichte den gegenteiligen Effekt hatten [32]. Damit erhält die Diskussion eine moralische Dimension: Ist es ethisch vertretbar, Patienten zu ver­unsichern und um satter Schlagzeilen willen Herzinfarkte zu verursachen und die Sterblichkeit zu erhöhen? Man müsste wohl den Gesundheitstip in Krankheitstip umbenennen mit einer Warnung in der Packungsbeilage: Die Lektüre dieser Zeilen ist mit einem erhöhten Risiko für Herzinfarkt und Herztod verbunden.

Cholesterinhypothese und die Kochschen Postulate

Zusammenfassend lässt sich festhalten, dass sich entsprechend den erweiterten Kochschen Postulaten [33]
1. Cholesterin in arteriosklerotischen Plaques findet;
2. eine diätetische und/oder genetische Erhöhung des Cholesterinspiegels experimentell und beim Menschen die Ausbildung arteriosklerotischer Plaques fördert;
3. die Höhe der Cholesterinspiegel bei Gesunden das Auftreten von Herzinfarkt und Herztod voraussagt;
4. in Mendellian RandomizationStudies genetisch tiefe bzw. hohe LDL-Cholesterinwerte mit einer tiefen bzw. hohen Rate an Herzinfarkt und Tod ­einhergehen;
5. eine pharmakologische Senkung des LDL-Cholesterins durch Statine, durch Hemmung des Niemann-Pieck Transporters im Darm oder durch Inaktivierung von PCSK9 das Auftreten von Herzinfarkt, Hirnschlag und Tod vermindert;
6. umgekehrt das spontane, aufgrund von Nebenwirkungen oder durch Medienberichte verursachte Absetzen cholesterinsenkender Medikamente das Auftreten kardiovaskulärer Ereignisse erhöht.
Überzeugender ist kaum je in der Medizin eine Hypothese bestätigt worden [34].

Die Rückseite der Medaille

Keine Wirkung ohne Nebenwirkungen: Statine verursachen bei rund 10% der Patienten Muskelschmerzen, die selten mit einem Anstieg der Kreatininkinase einhergehen. Eine Kombination eines niedrig dosierten Statins mit Ezetimibe kann das Problem gelegentlich lösen – es gibt aber eine Statinunverträglichkeit [33], bei der die PCSK9-Hemmer eine Alternative wären. Ein Anstieg der Leberenzyme durch Statine ist ­selten und reversibel, während ein erhöhtes Risiko für Diabetes belegt ist. Dennoch reduzieren auch in dieser Patientengruppe die Statine kardiovaskuläre Ereignisse.
Da die meisten Statine, ausser Pravastatin, über den Cytochrom-P450-Stoffwechsel in der Leber metabolisiert werden, sind bei immunsupprimierten und HIV-Patienten Interaktionen zu beachten.
Die neuen PCSK9-Hemmer sind aufgrund bisheriger Erfahrungen gut verträglich, allerdings sind die Beobachtungsdauer und die Anzahl behandelter Patienten noch gering und weitere Erfahrungen nötig.
Kann eine zu starke Cholesterinsenkung schädlich sein, wie einst Sir Michael Oliver meinte? Die Tierwelt zeigt, dass auch Säuger mit sehr tiefen Cholesterin­werten lebens- und reproduktionsfähig sind. Die Steroidhormone, die im Körper aus Cholesterin synthetisiert werden, sind sowohl bei diesen Tieren wie auch bei Patienten, die mit PCSK9-Hemmern Cholesterinspiegel von bis zu 0,1 mmol/L erreichen, normal. Neurokongitive Veränderungen liessen sich auch bei tiefen Cholesterinwerten in der EBBINGHAUS-Studie über 2 Jahre nicht nachweisen. Sie sind auch unwahrscheinlich, denn (1.) verfügt das Hirn über eine unabhängige Cholesterinsynthese und (2.) können die PCSK9-Antikörper aufgrund ihres hohen Molekular­gewichts die Blut-Hirn-Schranke nicht durchdringen. Gewiss sind Langzeituntersuchungen weiterhin wichtig.

Von der Evidenz zu Empfehlungen

Die Evidenz ist das Eine, Empfehlungen das Andere: Seit Immanuel Kant ist bekannt, dass ein Sachurteil und ein Werturteil nicht dasselbe sind [36]. Auch unter Fachleuten herrscht in praktischen Fragen keine Einigkeit. Die Tatsache, dass jemand Physiker ist, stellt ebenso wenig sicher, dass er sich für Atomkraftwerke einsetzt, wie nicht jeder Biologe für eine breite Anwendung der Gentechnologie ist [37].Aussagen und Werte, Erkenntnis und Handeln sind nicht das Gleiche. Wenn wir auch anstreben, unser Handeln mit der verfügbaren Evidenz in Einklang zu bringen, so lässt sich das eine nicht aus dem anderen ableiten.
In der Debatte um die Verwendung von Statinen und noch deutlicher der PCSK9-Hemmer [38] stellt sich die Frage: Wer soll und mit welcher Dosierung behandelt werden? Es gilt, Wirkung und Nebenwirkungen, Kosten und Nutzen gegeneinander abzuwägen. Die Guidelines des European Society of Cardiology [39] und der American Heart Association / des American College of Cardiology fassen die Meinung von Expertengruppen zusammen und halten sich an unterschiedliche Kriterien (Zielwerte versus Dosis) [40] – diese Empfehlungen sind nicht wahr oder falsch, sie sind Empfehlungen, nichts weiter. Während der Einsatz cholesterinsenkender Medikamente bei Hochrisikopatienten (familiäre Hypercholesterinämien, koronare Herzkrankheit, nach Infarkt, Diabetes) unumstritten ist, muss bei noch Gesunden auf das kardiovaskuläre Gesamtrisiko ab­gestellt werden. Man kann über die Breite der Verwendung bei intermediärem Risiko und bei älteren ­Patienten verschiedener Meinung sein, sie aber einfach zu negieren, widerspricht dem Ethos der Medizin, nämlich Patienten vor Leiden zu schützen – und das macht eine Senkung des Cholesterins unzweifelhaft, wenn auch nicht bei jedem im gleichen Masse. Deshalb braucht es einen Arzt und keinen Computer. Das globale Risiko ist entscheidend, das nicht nur die Lipide, sondern Alter, Geschlecht, Familiengeschichte, Lebensstil, Blutdruck, Rauchen und Diabetes berücksichtigt, wie es die Guidelines vorsehen. Allerdings sind alle Risikoalgorithmen kurzsichtig, weil sie die Sicht auf das «lifetime risk» ausblenden. So zeigte die Framingham-Studie, dass das «Lifetime risk» bei Gesunden 50-jährigen massiv höher liegt als das kurz­fristige 5–10-Jahres-Risiko, wie es der AGLA-Score und der ESC-Score bereithalten [41].

Interessenskonflikte und Evidenz

Wir lesen weiter: Neben dem Foto eines Meinungs­machers findet sich die Aussage: «Die meisten Cholesterin-Experten sind von der Industrie beeinflusst.» Wie soll man das verstehen? Natürlich ent­wickelte und entwickelt die Industrie die Statine, Ezetimibe und die PCSK9-Hemmer – wer könnte es bei den hohen Entwicklungskosten sonst tun? Natürlich braucht die Industrie Experten, um ihre Medikamente zu entwickeln – wer könnte ihnen sonst helfen, die ­Anforderungen der Medizin und der Registrierungs­behörden zu erfüllen? Natürlich braucht die Industrie Mediziner, um ihre Studien umzusetzen – wer hätte sonst die Patienten, um die Studien durchzuführen? Zu vermuten ist, dass der Kronzeuge des Artikels wirklich meint: «Es sind alle von der Industrie gekauft.» Ist es mit der heutigen Struktur und den Anforderungen der Registrationsbehören wie der Federal Drug ­Administration oder der European Medical Agency möglich, Ergebnisse zu verfälschen? Wahrscheinlich hat keiner der Zeugen der Anklage an klinischen Trials mitgearbeitet, denn mit der heutigen Organisationsstruktur mit Steering und AdjudicationCommittees, Data and Safety Monitoring Boards, Clinical Research Organisations, Daten-Monitoring, Verblindung von Medikamenten und Daten ist eine Beeinflussung der Resultate grosser randomisierter Studien ohne kriminelle Energie ausgeschlossen. Das wird auch dadurch dokumentiert, dass viele Industrie-gesponserte Lipid-Trials neutrale (Dal-OUTCOME Trial [42]; ACCELERATE trial [43]) oder sogar negative Ergebnisse (ILLUMINATE Trial [44]) ergeben haben – und dennoch publiziert wurden. Es ist nicht einfach ­alles Betrug, wie hier in paranoider Weise insinuiert wird.
Interessenkonflikte erlauben keinen Hinweis auf den Wahrheitsgehalt wissenschaftlicher Aussagen. Forscher mit Konflikten von Christoph Kolumbus bis zu Sir James Black haben die bedeutendsten Entdeckungen gemacht, während sich Andere ohne finanzielle Interessen irrten – und umgekehrt. Nur der Test der Zeit bestimmt den Wahrheitsgehalt wissenschaftlicher Aussagen [45].
Gewiss bedeutsam sind Interessenskonflikte bei der Interpretation der Daten. Ist es viel, ist es wenig? Sollen alle Herzpatienten Cholesterinsenker erhalten oder nur solche mit hohem Risiko, nur Junge und nicht Alte? Ist das Kosten-Nutzen-Risiko angemessen oder zu hoch? Hier braucht es eine Diskussion von Medizinern, Gesundheitsökonomen und politschen Entscheidungsträgern. Daher stehen Guide­lines immer zur Diskussion. Immerhin aber ­haben auch strenge Registra­tionsbehörden in allen Ländern Medikamente zur Senkung des LDL-Cholesterins mit vergleichbaren ­Indikationen zugelassen und sind im Begriff, weitere ­dafür zuzulassen.

Schlussfolgerung

Zusammenfassend ist die Cholesterinhypothese – und alles in der Forschung bleibt eine Hypothese, solange sie nicht der Falsifikation anheimfällt [46] – eine der bestdokumentierten Hypothesen der Medizin­geschichte.
Alternative Facts haben in der Wissenschaft nichts zu suchen, auch wenn sie – wie heute mit Vorliebe in der Politik – von einigen Kollegen und Journalisten zur Profilierung missbraucht werden. Dagegen müssen wir uns wehren, wenn wir der Vernunft ­weiterhin das Gewicht geben wollen, das sie durch Renaissance, Reformation und Aufklärung in der west­lichen Welt erlangt hat.
Der Autor hat mit AstraZeneca, Abbott, Merck, Pfizer und Roche in der Grundlagenforschung und der klinischen Forschung zusammen­gearbeitet und dabei Forschungsgrants und Honorare für Beratungen erhalten.
Professor
Thomas F. Lüscher, FRCP
Universitäres Herzzentrum
Klinik für Kardiologie
UniversitätsSpital Zürich
CH-8091 Zürich
cardio[at]tomluescher.ch
 1 Gossweiler A. Das Märchen vom bösen Cholesterin. Gesundheitstipp 03/2017 vom 16. März 2017, aktualisiert am 3. April 2017. Internet: https://www.gesundheitstipp.ch/artikel/d/das-maerchen-vom-boesen-cholesterin/
 2 Zitiert nach: William Osler: Lectures on Angina pectoris and allied states. Edinburgh and London. Young. J. Pentland
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